Gastbeitrag von Paul
Da bin ich nun auf dem Weg zum Gardasee, überschreite den Brenner und die tiefschwarzen Wolkenwände öffnen ihre Pforten. Sicher nicht das Bild, das man üblicherweise von Italien im Kopf hat. Bis zum See wird es nur noch schlimmer, sodass ich gut verstehen kann, das der Vertical K verkürzt wird. Ich persönlich bin allerdings erst am nächsten Tag zum Skyrace gefordert, welches Samstagmorgen um 11 Uhr in Limone direkt am See starten soll.
So mache ich mich also am nächsten Morgen zur Startnummernausgabe auf. In drei englischen Worten ist mein Anliegen schnell erklärt und ich bekomme ein große Tüte in die Hände gedrückt, in der bereits die erste dicke Überraschung wartet. Denn der Hauptsponsor hat jedem Teilnehmer einen hochwertigen Laufrucksack spendiert. Stöbernd im Rest, essend und trinkend genieße ich die letzte Stunde vor dem Start gemütlich am See. Das ein oder andere bekannte Gesicht huscht auch immer mal wieder vorbei, denn immerhin wird hier das Finale der Skyrunners World Series ausgetragen. Auf eine seltsame Art und Weise bin ich trotzdem sehr ruhig vor dem Lauf, vielleicht weil ich einfach zum genießen und lernen hier bin oder schlicht weil ich keine Ahnung habe, was wirklich auf mich zukommen wird.
Kurz nach Elf nimmt die Läuferschar dann Aufstellung, um nach kurzem herunter zählen, auf die Strecke entlassen zu werden. Das Abenteuer beginnt und zwar mit ordentlich Tempo und den Stöcken in der Hand. Wir fliegen förmlich durch die enge Altstadt von Limone, wobei das Profil bereits leicht wellig ist. Schonung oder gar Vernunft sehen anders aus.
Nach ca. 2 km queren wir die Hauptstraße und während ich mich noch frage, wo es hier bitte den Berg hinauf gehen soll, sind wir schon mittendrin. Ein Reinkommen in den Berg fällt weg und so reihen wir uns sauber auf und gehen geschwinden Schrittes den engen Trail hinauf. Anfangs ordnet man sich noch etwas, indem hier und da abgekürzt wird, teils auf recht abenteuerliche Weise. Der typische Gardasee-Trail schlängelt sich langsam immer weiter den Berg hinauf und ich bin erstmals richtig beeindruckt, wie sich die schier endlose Kette von Läufern vor und hinter mir den Berg entlang schlängelt. Die gut 600 Starter geben ein beeindruckendes Bild ab. Allerdings laufe ich bereits jetzt voll am Anschlag, bzw. steige den Berg empor. Auf gerade mal 4-5 km legen wir knapp 1300 hm zurück. Die Ermahnungen an mich selbst, ruhig zu machen, bleiben allerdings nutzlos. Auf dem Gipfel angekommen, folgt eine weitgehend flache Passage, die ich nutze, um zu verpflegen und den Puls etwas runter zu bekommen, allerdings dauert es nicht lange und ich stürze mich genauso unvernünftig in den ersten Downhill. Ich fliege praktisch den Berg hinab. Der Spaß könnte kaum größer sein. Die Trails sind einzigartig und bergab super laufbar. Nebenher bleibt sogar etwas Zeit die Aussicht zu genießen. Der See scheint unwirklich weit weg. Bin ich wirklich von da unten gestartet? Immer noch recht weit oben, geht es in den nächsten Aufstieg.
Der Pfad führt uns wieder steil bergauf, das Gelände wird immer technischer und zum Teil ausgesetzt. Der Abgrund ist ständiger Begleiter, sodass die Sinne geschärft bleiben. Unterbrochen wird der Rhythmus immer wieder von kleinen Kletterpassagen und besonders steilen Rampen. Die Leichtigkeit vom Anfang ist verflogen, allerdings nehme ich die auffällig gelben Laufschuhe des vor mir Laufenden in den Blick und orientiere mich so an Ihm. Auf diese Weise gelingt es mir, mich den Berg hinauf zu ziehen. Zum Ende des zweiten Anstiegs bin ich erstmals am kämpfen, doch das sollte nur der Anfang sein.
Erstmal stärke ich mich oben mit warmen Getränken, denn in der Höhe ist es deutlich kälter als am See. So gestärkt, gehe ich frohen Mutes in den folgenden Downhill, allerdings ist die Leichtigkeit vollends dahin. Das Tempo ist zwar noch weitgehend okay, aber die Schritte wurden schwerer, obgleich die Strecke gleichbleibend attraktiv bleibt. Flowige Abschnitte mischten sich in diesem Teil mit technischeren Abstiegen und kürzeren Gegenanstiegen. In der Hälfte dieser Passage ereilten mich dann die ersten Krämpfe und es sollte nicht besser werden. Zudem sah ich eine verletzte Läuferin am Rand, die bereits versorgt wurde. Hier zeigt sich das die Strecke super abgesichert war und der Veranstalter jederzeit auf Notfälle reagieren konnte. Dies, in Verbindung mit meinen schwindenden Kräften und den zunehmenden Krämpfen, führte dazu, dass ich der Sicherheit immer größere Beachtung schenkte. An diesem Punkt schien sogar ein DNF möglich, da das Ziel mit gut 10 km noch weit war und die Erschöpfung nach gut 3 Stunden an einem bedenklichem Punkt angekommen war. Jedoch wollte ich den letzten Anstieg unbedingt in Angriff nehmen und so machte ich mich langsamen, aber stetigen Schrittes der letzten Höhe entgegen. Nebenher versuchte ich noch einen Riegel zu essen und damit Energie aufzunehmen, was ganz gut gelang. Die Gesichter der einzelnen Läufer um mich herum spiegelten Ähnliches wieder. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Klingt vielleicht doof, aber in dieser Situation ist jeder Strohhalm recht. Der Aufstieg war zwar körperlich brutal, aber zum einen hielten sich die Oberschenkelkrämpfe im Aufstieg im Zaum und zum anderen war die Strecke weniger technisch und steil, als die vorherigen Anstiege.
Nach schier unendlicher Zeit kommen viele geschundene Gesichter zum letzten Verpflegungspunkt und stärken sich noch einmal ausgiebig. Schnell noch die Stöcke an den Rucksack gebaut und schon geht es weiter. Ein kurzes welliges Stück zum Reinkommen zeigt mir bereits, das der folgende finale Downhill die Hölle werden wird, aber nun gibt es kein zurück mehr. Mit frischen Beinen wären diese letzten 900 hm der pure Genuss geworden. Ein enger, technischer und zum Teil ziemlich steiler Trail lädt zum Ballern ein. So aber gilt es alle Aufmerksamkeit zu bündeln und stetig in Bewegung zu bleiben. Jedes Stehenbleiben und jeder Rhythmuswechsel wird nun umgehend mit unfassbaren Krämpfen bestraft. Gezwungener Maßen muss ich einige Läufer an mir vorbeiziehen lassen. Anderen ergeht es allerdings nicht besser, wie ein liegender Läufer zeigt. Er lässt sich gerade von einem Helfer die Beine durchstrecken, wie man es nur von Fußballern in der Verlängerung kennt. Im Ziel werden wir gemeinsam herzlich lachen und jede unnötige Bewegung vermeiden. Bis dahin sind es aber noch ein paar Meter.
Als das Ziel dann greifbar nahe schient, kam der letzte Gegenanstieg, den ich nur dank eines Mantras überwinden konnte. Ich habe vorher noch nie auf derartige Tricks zurückgreifen müssen, aber diese letzten zwei, drei Kilometer wird mich dieses Mantra nicht mehr verlassen. Es ermöglicht mir weiterzulaufen und meine Gedanken von Schmerz und Krämpfen abzuwenden. Nichtsdestotrotz versuche ich jedem Zuschauer ein Lächeln entgegenzubringen und alle Kinder auf dem Weg abzuklatschen. Meine Leiden kann ich trotzdem nicht verbergen und so geht es letztlich an einem Fluss durch Limone bis auf Seehöhe. Nach dem Einbiegen auf die Promenade ist es fast geschafft und das Ziel in hörbarer Weite. Die letzten Meter beiße ich nochmal die Zähne zusammen, um die letzten Schritte zu genießen und dann ist es tatsächlich geschafft. Nach gut 4 Stunden und 48 Minuten ist es vorbei, stolz und völlig ausgelaugt bekomme ich die Finishermedaille umgehangen. Danach bleibe ich einfach im Zielraum liegen.
Der Schmerz geht, der Ruhm bleibt!
Anmerkung:
An dieser Stelle herzlichen Glückwunsch an Paul zur super Leistung in Limone und vielen Dank für den Bericht. Der Kurs trägt den Beisatz "Extreme" wirklich nicht zu unrecht, wie ich im Frühjahr feststellen durfte, als ich die Strecke während meines Urlaubs am Gardasee unter die Lupe genommen haben. Für einen Hobbyläufer ist es unvorstellbar, dass es Sportler gibt, die diese Steigungen im Laufschritt bewältigen. Da Paul aufgrund der Anstrengung wohl keine Muße unterwegs hatte, den Fotoapparat zu zücken, erlaube ich mir, noch ein paar Fotos von den landschaftlichen Eindrücken anzufügen: